Unternehmen brauchen heute Coaching, weil die herkömmlichen Vorstellungen von Management und Leadership ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Gerade in einer sich ständig verändernden Welt sollten Führungskräfte viel mehr ihre Mitarbeiter zur Selbstbefähigung anleiten. Interview mit Dr. Stefan Frädrich, Gründer von Gedankentanken, über harte Soft Skills und Wege, um in Unternehmen Veränderungen zu bewirken.
Du bist Unternehmer, Bestsellerautor, Erfinder von »Günter, dem inneren Schweinehund«, der zur Plüschfigur und zur Buchreihe geworden ist – und du hast Gedankentanken gegründet. Bei Greator hältst du immer wieder inspirierende Vorträge und Seminare. Viele Menschen in Unternehmen folgen dir auf deinen Social-Media-Kanälen und setzen deine Konzepte um. Welche Trends siehst du derzeit in der Unternehmensführung? Was gibt es Neues?
Die Welt der Unternehmen und der Berufstätigen ist enorm im Umbruch. Das hat nicht nur mit der Krise und den Lockdowns zu tun, auch wenn viele Menschen dadurch ins Nachdenken gekommen sind. Viele fragen sich: Was will ich wirklich? Was bedeutet dieses Leben? Wie kann ich mein Tun mit Sinn erfüllen? Und da gibt es tatsächlich eine neue Entwicklung: In immer mehr Unternehmen setzt sich die Erkenntnis durch, dass sie Coaching brauchen – oder, genauer gesagt: Business Coaching. Dabei geht es neben den vom Coaching bekannten Themen wie Selbsterkenntnis und Motivation auch um ökonomische Faktoren, also um messbaren Erfolg. Zunehmend wollen Menschen etwas Sinnvolles tun. Den Wert der Nachhaltigkeit – der ja auch so etwas wie Wirksamkeit bedeutet – vertreten immer mehr Menschen.
Warum brauchen Unternehmen dazu Coaching? Setzen sich solche Werte nicht von alleine durch?
Tja – es kommt auf die Führungskräfte an. Bei Führungskräften »alten Schlages« setzen sich solche Werte eher nicht durch, weil alte Führungskulturen und damit Strukturen das verhindern. Und darum ist es Zeit fürs Coaching in Unternehmen. Klassischerweise haben Unternehmen ja einen Managementfokus und kümmern sich um Prozesse. Oder sie predigen den Gedanken des Leadership und sagen, Führungskräfte müssten mit gutem Beispiel vorangehen und die anderen müssten ihnen nacheifern. Doch in einer veränderten Arbeitswelt geht es um ganz andere Themen, um viel mehr individuelle Belange und um Persönlichkeitsentwicklung. Gerade in diesen Zeiten. Unternehmen müssen jetzt begreifen: Coaching ist die beste Art, Mitarbeiter zu führen und zu entwickeln. Coaching ist ein Tool, um das Unternehmen heute nicht mehr herumkommen. Es kann der Ausweg aus der Krise sein.
Warum gelingt das mit Management und Leadership nicht?
Weil diese Ansätze nicht tief genug gehen. Sie berücksichtigen weite Teile des Aspektes der Selbstbefähigung nicht. Manche Führungskräfte wenden ihre Führungsmethoden auf Mitarbeiter an, die sie nicht einmal richtig kennen.
Wieso kann das das Coaching leisten?
Coaching besteht ja unter anderem aus der Kunst, die richtigen Fragen zu stellen, damit Menschen von alleine auf die passenden Antworten kommen. Du beschäftigst dich beim Coaching also automatisch sehr tief mit dir selbst, mit deinem wahren Wesen. Es geht darum, was jemand wirklich will und wie er im Einklang mit seinen Werten produktiv tätig sein kann. Die Suche des Menschen nach seiner Position in der Welt ist ja entwicklungsgeschichtlich uralt. Und es scheint jetzt eine intensive Zeit gekommen zu sein, in der es genau darum geht.
Das klingt sehr intensiv und persönlich. Ist das gut? Wird das nicht zu persönlich?
Es ist so intensiv und persönlich, wie es die Menschen zulassen. Niemand muss sich dabei ausziehen. Aber es ist eine riesige Chance nicht nur für Unternehmen, um leistungsstärker zu werden, sondern auch für Führungskräfte und Mitarbeiter, um herauszufinden, wie sie selbst im Einklang mit ihrer Persönlichkeit glücklich, zufrieden und zugleich leistungsfähig sein können.
Der Begriff Coaching klingt für viele Menschen sehr weich. Wie siehst du das?
Es klingt vielleicht weich, weil es um Soft Skills geht. Aber es ist dann auch wieder echt hart! Feedbackgespräche, die Komfortzone verlassen, sich neues Verhalten aneignen und es trainieren, das ist alles nicht ohne. Gerade wenn Menschen sich entwickeln, spüren sie durchaus, dass das kein Ponyhof ist. Viele erkennen zum Beispiel, dass sie gar nicht die Kommunikationsprofis sind, für die sie sich bisher halten. Man braucht schon eine gewisse Offenheit fürs Unbequeme. Kurz: Es geht um harte Tools bei den Soft Skills.
Die meisten Coaches haben ein Spezialthema. Müssten sich Unternehmen dann nicht verschiedene Coaches für verschiedene Themen ins Haus holen?
Na ja, darin besteht genau das Problem. Unternehmen brauchen einen viel größeren Blick auf die Dinge, und viele Coaches auch. Spezialisierung bedeutet nämlich immer auch, kognitive Türen zuzumachen. Aber gerade beim Thema Führung geht es darum, die Perspektive anderer Menschen einzunehmen. Mir hat gerade eine Krankenschwester in einem Krankenhaus gesagt, dass sie Ärzte nicht mag. Das ist lustig, weil am Ende alle miteinander arbeiten müssen und das auch wollen sollten. Es geht um ganzheitliches Denken, nicht ums Denken in Teams oder Projekten. Weil die Spezialisierung aber die Unternehmen beherrscht, werden Menschen mit der Zeit blind für die Belange von anderen. Auch viele Coaches spezialisieren sich – für Motivation, für Führung und anderes. Ich denke, auch ein Coach sollte heute einen generalistischen Blick aufs Leben und Arbeiten haben und die Komplexität erkennen, dass alles mit allem zusammenhängt.
Unser gesamtes Bildungssystem setzt auf Spezialisierungen.
Ja, und dabei geht die »Straßenschlauheit« verloren. Wir brauchen aber Straßenschlauheit statt Schulklugheit. Dringend! Indem aber Schule, Ausbildung und Uni auf Spezialisierungen setzen, ersticken viele Unternehmen am Ende auch im Kleinteiligen und verlieren den Überblick übers Gesamte.
Du bist ja Arzt. Ärzte sind meistens auch spezialisiert. Wie steht die Medizin zum Thema Coaching?
Viele Ärzte sind dem Thema offen gegenüber, wenn sie es entdecken. Aber viele entdecken es nicht, weil die Strukturen keinen Bedarf an Coaching haben. Oder es scheint jedenfalls so. In der Pflege zum Beispiel ist man gegenüber dem Thema Persönlichkeitsentwicklung und Coaching viel offener als in der Medizin. Bei Medizinern zählen viel mehr fachliche Qualifikationen: Je höher, desto leichter steigt man auf.
Und inwiefern sind Coachs Therapeuten? Ist das das Gleiche?
Das sind ziemliche Gegensätze. Es sind völlig verschiedene Herangehensweisen. Therapeuten wollen therapieren, also heilen. Der Anspruch einer Therapie ist es, tief sitzende, psychische Schwierigkeiten, wie beispielsweise Ängste, Süchte, Traumata oder Ähnliches zu behandeln. Im Unterschied dazu hilft Coaching dabei, eine bessere Version seiner selbst zu werden, durch bessere Kommunikation und klarere Ziele sowie Wege dorthin. Beim Coaching beginnt der Auftrag, wenn ein Mensch das Beste aus sich herausholen will. Bei der Therapie ist der Auftrag beendet, wenn der Mensch so gesund ist, dass er sich weiterentwickeln kann.