Ein Genogramm erstellen und mehr über sich selbst lernen

Lesezeit von 8 Minuten

Woher kommen die eigenen Vorfahren, wie waren sie so und wie standen sie zueinander? Den Stammbaum zu erkunden, ist eine aufregende Sache. Aber noch aufregender ist das Erstellen eines Genogramms. Diese erweiterte Form des Stammbaums steckt voller zusätzlicher interessanter Informationen über deine Familie. Sie können dir unter anderem Aufschluss über deine eigene Persönlichkeit oder sogar mögliche Krankheitsbilder geben.

Was ist ein Genogramm?

Mit einem Genogramm stellst du die Beziehungen und Strukturen in deiner Familie grafisch dar und das über so viele Generationen, wie du möchtest. Anders als beim normalen Stammbaum, wird beim Genogramm nicht mit Bildern, sondern mit Symbolen gearbeitet.

Jedes Symbol steht für ein Geschlecht und zeigt auch an, ob die Person bereits verstorben ist. Aber das schauen wir uns später noch etwas genauer an. Lass uns erst einmal einen intensiveren Blick in die Entstehungsgeschichte des Genogramms werfen, um besser zu verstehen, womit wir es hier eigentlich zu tun haben.

Ein historischer Einblick in die Geschichte des Genogramms

Der US-amerikanische Psychotherapeut Murray Bowen (1913-1933) war der erste, der ein Genogramm zu Papier brachte. Er gehört zu den Begründern der sogenannten Systematischen Therapie und genau dieses Themengebiet war es, das ihn dazu bewegte, diese erweiterte Form des Stammbaums zu etablieren. Die Systematische Therapie beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern psychische Störungen auf die Interaktion zwischen Mitgliedern im sozialen Umfeld des Betroffenen – also auch innerhalb der Familie – zurückzuführen sind. Mit dem Genogramm schuf Bowen die perfekte Grundlage, um dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Der ungarische Psychiater Ivan Boszorményi-Nagy (1920-2007) erweiterte das Ganze und führte die Mehrgenerationen-Perspektive ein – in seinen Augen ein besonders wichtiger Punkt. Warum ihm das so wichtig war? Weil er davon ausging, dass innerhalb der Familie emotionale Schulden entstehen, die über Generationen hinweg bestehen bleiben und immer wieder „zurückgezahlt“ werden müssen. Im Mehrgenerationen-Genogramm werden sie ersichtlich.

Schließlich waren es aber die Familientherapeuten Randy Gerson und Monica McGoldrick, die in Anlehnung an die Idee von Bowen das Genogramm entwickelten, das wir heute kennen. Obwohl Bowen die Grundlage schon im frühen 20. Jahrhundert schuf, fand der erweiterte Stammbaum erst in den 1990er Jahren Einzug in die Familientherapie.

Genogramm erstellen

Warum du unbedingt ein Genogramm erstellen solltest

Diese Frage haben wir eigentlich schon im Groben beantwortet. Ein Genogramm ist ein tolles Hilfsmittel, um mehr über sich selbst und die eigenen Vorfahren herauszufinden. Vor allem aus psychologischer Sicht ist es nützlich, denn damit lassen sich genetisch bedingte Charakteristika erkennen. Auch Probleme innerhalb oder zwischen bestimmten Generationen werden ersichtlich, die deine eigenen Denk- und Verhaltensmuster beeinflussen.

Ein genauerer Blick in deine Familienstruktur hilft dir dabei, eine Theorie aufzustellen, woher bestimmte Probleme eventuell stammen könnten und gibt dir damit wichtige Hinweise, wo du ansetzen kannst, um sie aus der Welt zu schaffen. Das Beziehungssystem, in dem du lebst, ist maßgebend für dein seelisches Wohlbefinden. Viele sind sich dessen überhaupt nicht bewusst und suchen die Problemursachen nur bei sich selbst – ein großer Fehler, der die Problemlösung nur unnötig behindert.

Ein Genogramm und all die Informationen, die es liefert, unterstützen dich dabei, deine eigene Persönlichkeit besser zu verstehen und verhelfen dir zur Selbsterkenntnis. Damit bilden sie die perfekte Grundlage für ein Coaching. Um dich selbst weiterentwickeln zu können, musst du schließlich erst einmal wissen, wo du stehst und wie es dazu kam: Genau das kann dir ein Genogramm aufzeigen.

Für was ist ein Genogramm gut?

Deine eigene Persönlichkeit besser verstehen und an deiner persönlichen Entwicklung arbeiten – das ist einer der wichtigsten Gründe, warum es sich lohnt, ein Genogramm zu erstellen. Je mehr Generationen du darin aufnimmst, desto leichter wird es dir fallen, gewisse Muster zurückzuverfolgen und in einen größeren Kontext zu setzen. Vielleicht stellst du fest, dass sich gewisse Verhaltensweisen innerhalb der Generationen immer wieder wiederholt haben und auch auf dich zutreffen.

Möglicherweise gibt es gewisse Themen, die nie zur Sprache kommen und du erfährst endlich, warum. Unter Umständen kannst du auch gewisse Entscheidungen, die einer deiner Vorfahren getroffen hat, besser verstehen. Zeitgleich erkennst du, und erkennen, welchen Einfluss diese auf dein eigenes Leben und deine bisherige Persönlichkeitsentwicklung genommen haben. Zusammenhänge werden endlich transparent und du kannst deine weitere Entwicklung gezielt vorantreiben. Wo ist noch Luft nach oben? Wo sind die Grenzen vielleicht schon erreicht und welche Ängste könnten dich auf deinem Weg ausbremsen?

All diese und unzählige weitere Fragen beantwortet dir ein gut ausgearbeitetes Genogramm.

Übrigens: Eine weitere Möglichkeit, um mehr über deine Persönlichkeit herauszufinden, ist unser Persönlichkeitstest. Er gibt dir Aufschluss darüber, welche Charakterzüge dich ausmachen. Du kannst dein Genogramm dann gezielt nach ihnen durchsuchen und familiäre Zusammenhänge noch leichter ausfindig machen.

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Wie erstellt man ein Genogramm?

Jetzt geht es ans Eingemachte. Wie genau bringt man den nun ein Genogramm zu Papier? Das schauen wir uns im Folgenden an.

Schritt 1: Wer soll im Genogramm auftauchen?

Die erste Frage, die du dir stellen solltest, ist, wen du darin aufnehmen möchtest. Eine Sache ist klar: Deine eigene Herkunftsfamilie ist wichtig. Die deiner/s PartnerIn kannst du getrost auslassen. Es sei denn, diese Familie spielt eine sehr wichtige Rolle in deinem Leben und nimmt tatsächlich großen Einfluss auf dich und deine Entscheidungen. In der Regel sind Teil des Genogramms:

  • Geschwister
  • Eltern und deren Geschwister
  • mögliche Stiefelternteile
  • Großeltern und deren Geschwister
  • LebensparterIn

Erweitere diesen Personenkreis um alle Familienangehörigen und auch deren PartnerInnen, mit denen du nicht nur in sporadischem Kontakt stehst. Gern kannst du auch über die Generation deiner Großeltern hinausgehen, um noch deutlichere Muster zu erkennen. Auch Fehl- und Totgeburten von Familienmitgliedern werden im Genogramm eingetragen, denn derart einschneidende Erlebnisse lassen die Psyche nicht unberührt.

Schritt 2: Informationen sammeln

Ein Genogramm ist nicht einfach in fünf Minuten erstellt. Schließlich soll es möglichst viele Informationen enthalten, die dir Aufschluss über dich selbst geben. Aber woher nimmt man diese Informationen am besten? Starte erst einmal mit allgemeinen Angaben wie den Lebensdaten, Geburts-, späteren Wohn- und gegebenenfalls Sterbeorte sowie den ausgeübten Berufen. Beschäftige dich dann mit den Charakterzügen und überlege erst einmal, wie du selbst jede einzelne Person einschätzt.

Mache dir zu jedem getrennte Notizen, um später nicht den Überblick zu verlieren. Gleiche deine Einschätzungen dann mit denen anderer Familienmitglieder ab. Sehen sie das Ganze genauso wie du? Verhalten sich bestimmte Personen vielleicht bei jedem Familienmitglied anders?

Gehe dann auf die Suche nach Ursachen für diese Charakterzüge und grabe etwas in der Geschichte. Was haben sie erlebt? Gab es besondere Erfolge, schwere Schicksalsschläge, große Verluste oder gibt es vielleicht sogar Dinge, über die niemand sprechen möchte? All das wird Teil deiner Notizen.

Diese Fragen helfen dir bei der Informationssuche

Hier haben wir noch einmal eine Übersicht mit möglichen Fragen, die für dein Genogramm interessant sind, für dich zusammengestellt:

  1. Wie lautet der Familienstand der einzelnen Personen? (ledig, in einer Beziehung, verheiratet, geschieden)
  2. Wie viele Lebenspartner gab es?
  3. Wer ist getrennt oder geschieden und wie oft?
  4. Lebt jemand in einer Patchwork Familie?
  5. Wer hat wie viele leibliche, Adoptiv- oder Pflegekinder?
  6. Erlitt jemand eine Fehl- oder Totgeburt, hat ein Kind abgetrieben oder in ein Heim bzw. an eine Pflegefamilie gegeben?
  7. Wer übt oder übte welchen Beruf aus?
  8. Gibt es Personen, die nicht zur Familie gehören, aber trotzdem sehr wichtig sind?
  9. Besteht zwischen gewissen Familienmitgliedern kein Kontakt und wenn ja, warum?
  10. Wie ist es um den familiären Zusammenhalt bestellt?
  11. Wo liegen die Stärken und Schwächen der Familie?
  12. Wie steht es um Krankheiten, psychische Probleme und Süchte, z. B. nach Medikamenten, Alkohol oder Drogen?
  13. Kam jemand mit dem Gesetz in Konflikt und wenn ja, warum?
  14. Ist Flucht aus dem Heimatland, Vertreibung oder freiwillige Auswanderung Teil der Familiengeschichte?
  15. Gab es prägende Ereignisse im Krieg seitens der älteren Generationen, wie Enteignung oder Kriegsgefangenschaft?

All diese Fragen musst du keinesfalls wie in einem Lehrbuch abarbeiten. Sie sollen dir lediglich dabei helfen, die richtige Richtung zu finden und interessante Informationen zu sammeln.

Schritt 3: Die grafische Darstellung

Du hast nun alle Daten gesammelt, die du brauchst. Jetzt geht es daran, sie in Genogramm-Form zu bringen. Beginne am besten mit dir selbst als Ausgangspunkt. Ergänze dann in horizontaler Linie deine eigene Generation, also deine Geschwister. In der Ebene darüber finden deine Eltern und deren Geschwister Platz, in der Ebene darüber deine Großeltern und so weiter.

Ganz links steht immer das älteste Geschwisterkind, ganz rechts das jüngste. Bei Elternpaaren steht der Mann stets links und die Frau rechts. Zur Darstellung nutzt du Symbole. Ein Quadrat steht für eine männliche Person, ein Kreis für eine weibliche. Konntest du das Geschlecht eines Familienmitgliedes nicht herausfinden, nutzt du ein Dreieck.

Dich selbst markierst du zusätzlich mit einem Punkt in der Mitte. Personen, die schon verstorben sind, und Totgeburten, kennzeichnest du mit einem zusätzlichen Kreuz. Wurde ein Kind abgetrieben, wird lediglich ein Kreuz gesetzt, bei einer Fehlgeburt ein schwarzer Kreis. Adoptiv- und Pflegekinder stellst du dar, indem du ein A bzw. ein P in das Quadrat oder den Kreis setzt.

Beziehungen darstellen

Die Verbindungen zwischen den einzelnen Personen stellst du durch Linien dar. Eine durchgezogene Linie steht für die Ehe, eine gestrichelte für eine feste Partnerschaft. Geschiedene Paare verbindest du auch mit einer durchgezogenen Linie, setzt aber zwei Schrägstriche in die Mitte.

Eine durchgezogene Linie setzt du außerdem bei Konflikten und ergänzt mittig einen Blitz. Bei einer beendeten Beziehung ist die Linie in der Mitte unterbrochen. Eltern-Kind-Beziehung markierst du mit einer senkrechten durchgezogenen Linie. Bei Zwillingen führen sie schräg nach oben zur Verbindungslinie der Eltern und treffen dort aufeinander. Sie bilden quasi ein umgedrehtes V.

Ein Beispiel für ein sehr simples Genogramm

Ein ganz einfaches Genogramm besteht aus drei Zeilen. Ganz unten stehst du und bist mit horizontalen Linien mit deinen Geschwistern verbunden. In der Zeile darüber sind deine Eltern eingetragen.

Die beiden sind mit einer durchgezogenen oder gestrichelten waagerechten Linie verbunden. Von deinem Symbol und dem deiner Geschwister führt jeweils eine senkrechte Linie nach oben, die im rechten Winkel auf die Verbindungslinie deiner Eltern trifft.

Schritt 4: Persönliche Informationen

Das Grundgerüst steht jetzt und all die Informationen, die du gesammelt hast, warten darauf auch endlich eingetragen zu werden. Gibt es zu einigen Personen besonders viel aufzuschreiben, solltest du das schon in Schritt 3 bedenken und ausreichend Platz zwischen den einzelnen Symbolen lassen. Sonst wird es schnell unübersichtlich.

Los geht es mit Namen, Lebensdaten und Geburts-, Wohn- und Sterbeorten. Darauf folgen die Nationalität – falls sie abweicht –und der Beruf. Danach ergänzt du auffällige Charaktereigenschaften und besondere Talente. Einschneidende Erlebnisse, Krankheiten und weitere Besonderheiten finden ganz zum Schluss im Genogramm Platz.

So wertest du dein Genogramm aus

So wertest du dein Genogramm aus

Mit dem Erstellen des Genogramms ist es natürlich nicht getan. An wertvolle Erkenntnisse gelangst du erst mit der Auswertung. Erste Aha-Momente hast du sicher bereits erlebt, aber jetzt tauchst du noch tiefer in die Materie ein. Du hast dir einen wunderbaren Überblick über alle relevanten Daten und Geschehnisse in deiner Familie verschafft und kannst jetzt ganz leicht Muster erkennen. Wo ähneln sich Lebensentwürfe, wer hat vielleicht gleiche Schicksalsschläge erlitten und bei wem siehst du Ähnlichkeiten zu dir selbst?

Wichtig ist, dass du bei der Auswertung keine voreiligen Schlüsse ziehst. Gehe bei der Analyse Schritt für Schritt vor und überlege auch, wie Charakterzüge und Erlebnisse miteinander in Verbindung stehen. Sind gewisse Krisen vielleicht auf mangelhafte zwischenmenschliche Beziehungen innerhalb der Familie zurückzuführen?

War es möglicherweise eine besondere Eigenschaft, die dazu geführt hat, dass ein Familienmitglied einen ganz bestimmten Weg eingeschlagen hat? Frage dich immer wieder, wo du Parallelen zu dir selbst siehst und was du vom Leben deiner Angehörigen lernen kannst. Was könntest du dir zum Vorbild nehmen und was vielleicht besser machen?

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