„Du brauchst dich nur wohlfühlen”, hieß es in der Anzeige bei Airbnb. Das sei jetzt ein Jahr her. Und seitdem lerne Mario Sudmann immer wieder nette Menschen kennen. „Im Zug stellte ich einem jungen Mann neulich die Frage: Was macht dein Leben lebenswert? Er klappte das Laptop zu und wir quatschten drei Stunden lang. „Eigentlich wollte ich mit ihm nur eine Umfrage prüfen. Nach der finden es 85,4% besonders erstrebenswert eine enge Beziehung zu einem anderen Menschen zu haben“, lässt Mario Sudmann das Publikum bei der Rednernacht in der Volksbühne Köln wissen. „Jemanden, dem wir uns anvertrauen und mit dem wir unsere Sorgen teilen können. Hast du im beruflichen Umfeld auch so eine enge Beziehung zu deinen Kollegen wie im privaten Umfeld?“
Seit gut 30 Jahren ist der Redner als Techniker in der Flugzeugindustrie tätig. „Doch über Jahre habe ich festgestellt: Selbst die beste Methode schafft allein keine Veränderung. Wir müssen nämlich erst die Menschen gewinnen und zusammenbringen. Projekte scheitern nicht, weil es an technischen Voraussetzungen fehlt. Es fehlt an Beziehungen unter den Menschen! Und das hast du in dir, dass du als soziales Wesen in Beziehung mit anderen gehen kannst.“ Mario benutzt gern die Metapher vom Beziehungskonto. Nur ist die Währung hier nicht Geld, sondern Zuneigung, Freundlichkeit und Interesse – ist das Konto gut gefüllt, dann schafft es Vertrauen und Interesse.
Wie geht es dir, wenn du die Zuneigung und Liebe deiner Mitmenschen nicht spüren kannst? „Vor zehn Jahren erlebte ich eine Einzahlung, die mein Leben veränderte. Am 7. Februar kam meine Frau morgens ins Schlafzimmer. Unser zweites Baby machte sich eher als geplant auf den Weg. Bei der ersten Untersuchung im Krankenhaus stellten die Ärzte eine Schwangerschaftsvergiftung fest. Die Geburt verlief zum Glück gut. Aber danach folgten immer wieder Momente, in denen wir als Eltern tief durchatmen mussten. Ich hatte das Gefühl, ich bin im falschen Film. Meine Frau hatte eine viereinhalbstündige Not-OP hinter sich und andererseits war da unsere Tochter, mit der ich kuscheln wollte. Eine Krankenschwester legte eine Hand auf meine Schulter und fragte, wie es mir geht…”
„An diesem Tag habe ich verstanden, was im Leben eigentlich wichtig ist: Ich rufe am nächsten Tag in der Firma an, verzichte auf eine Führungsposition und lass mich zwei Monate beurlauben. Ich kümmere mich Zuhause um unsere zwei Töchter, während meine Frau noch weitere 14 Tage auf der Intensivstation bleiben muss. Intensiver hätte ich meine Vaterrolle nicht leben können!“, erzählt Mario Sudmann.
Bei Kindern kann man immer wieder feststellen, dass sie offen sind fürs Leben. Wir Erwachsenen hingegen stehen hinter einer schützenden Fassade. Wieso? Hat man uns belogen? Unsere Werte verletzt? Unsere Geheimnisse verraten? „Ich glaube, wenn du solche Erfahrungen gesammelt hast, dann ist es nicht verwunderlich, wenn uns unser Ego schützt. Vielleicht kommen dir ja so Gedanken wie Das könnt ihr doch mit mir nicht machen! Was fällt der blöden Kuh eigentlich ein? Was glaubt denn der Spinner, wer er ist?“, sagt Mario. So machen wir Abbuchungen vom Beziehungskonto.
Dabei sind es die Einzahlungen, die uns weiterbringen. „Wie wäre es also, wenn du neugierig und interessiert auf jemanden zugehst? Wenn du wie ein frisch verliebter einen Vertrauensvorschuss gibst oder abtauchst in die Fantasiewelt deiner Kinder? Beobachte dich gern in den nächsten Wochen! Denn die Abbuchungen macht dein verletztes Ego und die Einzahlungen, die machst du mit deinem Herzen!”, weiß der Familienvater aus eigener Erfahrung.
In der Arbeitswelt ist alles anders. Da geht man gefälligst professionell und korrekt miteinander um. Es wird informiert, diskutiert und eskaliert. Aber wir brauchen doch Teams, die gemeinsam etwas gestalten wollen. „Was im Tagesgeschäft manchmal zu kurz kommt, schaffe ich daher in meinen Workshops. Da gibt es einen Rahmen von Akzeptanz, Offenheit und ganz viel Wertschätzung. Ich glaube nämlich: Wenn wir Wachstum wollen – ob im Unternehmen oder für uns und unsere Kinder – dann brauchen wir Nähe und Verbindung untereinander.“
Vor zweieinhalb Jahren gab es eine Einzahlung auf ein ganz besonderes Konto. Anfang Oktober 2017. „Ich bin im Auto auf dem Rückweg. Wir haben Tickets für die Rednernacht von Gedankentanken. Doch ein Anruf meiner Mutter holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Meinem Vater ging es nicht gut! Wenige Stunden später sitze ich an seiner Bettkante und halte seine Hand.“ Deutlich war der Kloß, nein ein Brocken, in Marios Hals zu spüren. „Papa, ich werde mich um alles kümmern”, versprach ich ihm. Einige Tage später. Ich sitze wieder bei ihm am Bett und frage, ob er Angst vorm Sterben hat. „Ja”, sagt er, „wieso?” – „Weil du nicht weißt, wie es dort aussieht, wo du hingehst?”
„Heute habe ich ein Bild, das möchte ich gern mit dir teile: Es duftet nach Frühling dort. Mein Vater wohnt in einer bescheidenen Hütte am Dorfrand. Dort gibt es einige Bäume und eine grüne Wiese. Auf der Bank vor seinem Haus kann er sich ausruhen. Ich bin so glücklich und dankbar, dass ich ihn dabei begleiten durfte”, blickt Mario Sudmann gerührt zurück. Am Lebensende gibt es nur noch eine Währung, die wirklich etwas wert ist: „Investiert in Beziehungen! Indem du dein Ego ein kleines bisschen zurück nimmst und dich in den Dienst der Schwächeren stellst. Vielleicht ja, indem du tolerant bist und Spaß verstehst – so wie ich es mit meinen Handballer-Freunden erlebe. Oder wenn ich achtsam und einfühlsam bin, wie ich es bei meinem Vater war.“
„Wie oft habe ich in meinem Leben schon gehört ,Papa guck mal!' Wie unsere Kinder möchten auch wir Großen einfach nur gesehen werden. Die Kleinen klagen es ein. Und wir Erwachsenen? Wissen wir überhaupt noch, wie sich das anfühlt?", fragt Mario Sudmann in die Runde. „Jede Einzahlung, die ich gemacht habe, hat sich auch ausgezahlt. Meine Bitte an dich lautet: Werde nicht müde, weiter auf dein Konto einzuzahlen. Bleib dran! Und warte nicht auf den richtigen Augenblick, sondern bestimme ihn selbst. Fang noch heute damit an!“