Gefühle sind eine komplexe Angelegenheit. Oftmals sind sie so intensiv oder auch gemischter Natur, dass es uns schwerfällt, sie in Worte zu fassen. Uns steht nur ein begrenzter Wortschatz zu Verfügung und nicht immer ist dieser ausreichend, um all die Facetten der Emotionen, die wir gerade spüren, zu beschreiben. Wir müssen uns also mit vereinfachter bzw. ungenauer Sprache begnügen.
Das ist aber leider nicht zielführend, wenn wir uns anderen gegenüber öffnen möchten. Unsere Mitmenschen können so nur schwer nachvollziehen, wie es uns wirklich geht. Demzufolge sind sie auch nur begrenzt in der Lage, uns in schwierigen Situationen effektiv weiterzuhelfen.
Aber wie können wir es denn nun schaffen, trotz dieser begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten so genau wie möglich zu beschreiben, wie es uns gerade geht? Das Gefühlsrad macht’s möglich! Was genau es damit auf sich hat und wie du es anwendest, schauen wir uns jetzt gemeinsam an.
Beim Gefühlsrad handelt es sich um ein aus den USA stammendes Kommunikationswerkzeug. Dr. Gloria Willcox rief es ins Leben und erschuf damit eine Möglichkeit, den eigenen emotionalen Zustand zu erkennen, einzuordnen und in Worte zu fassen. Damit gelingt es dir, deine Gefühle genau zu erfassen und besser zu verarbeiten.
Das Gefühlsrad besteht aus drei Ringen. Der innerste Ring ist in sechs Parts aufgeteilt, die allesamt jeweils eine Kernemotion enthalten:
In diesem ersten Ring ordnest du die Emotion, die du gerade verspürst, erst einmal grob ein. Dann geht es an den zweiten Ring. Dieser teilt jedes der Kerngefühle in etwas spezifischere Emotionen ein. Hast du dich im ersten Schritt beispielsweise für glücklich entschieden, hast du nun die Wahl zwischen:
Weiter geht es dann mit dem dritten Rad. Auch hier finden zusätzliche Spezifikationen statt. Jedes Gefühl aus dem zweiten Rad wird an dieser Stelle noch einmal in zwei Unterkategorien aufgeteilt. Hast du dich gerade zum Beispiel für optimistisch entschieden, stehst du nun vor der Frage: Bist du eher zuversichtlich oder hoffnungsvoll?
Das Gefühlsrad ist ein gern genutztes Mittel in der Psychologie, denn oft fällt es Patientinnen und Patienten schwer, sich ihrer wahren Gefühle bewusst zu werden. Wer sich beispielsweise mit Depressionen in Therapie begibt, spricht häufig lediglich von Traurigkeit. Dieser grobe Ansatz reicht aber nicht aus, um wirksame Therapiesitzungen abzuhalten. Oftmals stecken Enttäuschung oder auch Einsamkeit hinter der Traurigkeit – Punkte, an denen Therapeutinnen und Therapeuten deutlich zielführender ansetzen können.
Du kannst dir das Gefühlsrad wie eine Art Spielbrett vorstellen. Als Spielfiguren dienen Münzen, kleine Steine oder was auch immer du gerade zur Hand hast. Du legst deine Figur auf das Segment im inneren Ring, das deine Gefühlswelt gerade am besten beschreibt und arbeitest dich so immer weiter vor. Auf diese Weise lädt dich das Rad dazu ein, deinen Emotionen auf den Grund zu gehen und ein besseres Bewusstsein dafür zu entwickeln.
Du führst quasi eine Gefühlsinventur ganz für dich allein durch. Notiere dir deine Ergebnisse. Fühlst du dich emotional oft aufgewühlt, dann wird es dir vielleicht helfen, mit der Hilfe des Rads eine Art Gefühlstagebuch zu führen.
Hilfreich ist es auch, das Gefühlsrad immer dann einzusetzen, wenn du eine seelische Last auf dir spürst. Es unterstützt dich dabei, genau herauszufinden, worauf diese Last basiert. Bist du enttäuscht, fühlst du dich hilflos oder sogar im Stich gelassen? Auf diese Weise gelingt es dir, genau den Ansatz zu finden, der dir den Weg in Richtung Problemlösung weist.
Das Gefühlsrad ist nicht nur ein tolles Werkzeug, um dir deiner eigenen Gefühle bewusst zu werden. Es ermöglicht dir auch, mit anderen auf emotionaler Ebene zu kommunizieren. Wagst du es auf diese Weise, ganz konkret über deine Gefühle zu sprechen, ermöglicht dir das eine besonders offene und ehrliche Kommunikation.
Setze dich also gemeinsam mit deinem Gesprächspartner ans Gefühlsrad. Legt eure Steine auf die entsprechenden Felder, ohne miteinander zu sprechen. Erst danach beginnt eure Konversation, in der ihr euch über die Gefühle, die ihr gerade markiert habt, austauscht. Möchte einer von euch nichts mehr zu dieser bestimmten Emotion sagen oder nichts mehr darüber hören, weil es gerade einfach zu viel wird, dann wandert der entsprechende Stein einfach in die Mitte des Gefühlsrads – in die sogenannte Ruhezone. Solange er sich dort befindet, darf nicht mehr über diese Emotion gesprochen werden.
Ihr könnt auch ganz anders an die Sache herangehen und die Steine nicht auf eure eigenen Emotionen legen, sondern auf die, von denen ihr annehmt, dass der andere sie empfindet. Das zeigt euch, ob ihr die Gefühle des anderen wirklich richtig deuten könnt und bietet eine wertvolle Möglichkeit, um Missverständnisse aufzuklären, die euch im Weg stehen.
Hast du beispielsweise die ganze Zeit das Gefühl, dein Partner wäre unglücklich, stellt sich so eventuell heraus, dass er sich einfach nur verunsichert fühlt oder sich manchmal einfach nur gern zurückzieht. Derartige Erkenntnisse bieten euch den optimalen Nährboden, um an eurer zwischenmenschlichen Beziehung zu arbeiten.
Eine weitere Möglichkeit wäre das Legen auf die Gefühle, von denen ihr euch wünscht, dass der andere sie für euch in der aktuellen Situation empfindet. Das können beispielsweise Emotionen wie beglückt und unbeschwert, aber auch neugierig oder vielleicht sogar demütig sein. Dein Gegenüber empfindet überhaupt nicht so, wie du es dir erhoffst? Dann hat euch das Gefühlsrad soeben die Möglichkeit eröffnet, ganz offen darüber zu sprechen und herauszufinden, welche Gründe dahinterstecken.
Egal, für welche Variante ihr euch entscheidet: Wichtig ist, dass ihr einander aussprechen lasst und genau zuhört, was der/ die andere zu sagen hat. Habt keine Scheu, eure wahren Emotionen zu offenbaren, denn nur dann könnt ihr gemeinsam an der Situation arbeiten. Wird das Gespräch zu intensiv und einer von euch fühlt sich unwohl und legt den Stein in die Ruhezone, dann muss der/ die Gesprächspartner/in das akzeptieren. Brecht ihr das Gespräch im Streit ab, ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein, war das Ganze umsonst.
Das Gefühlsrad unterstützt dich dabei, deine wahren Emotionen zu erkennen. Dessen Anwendung ist der erste wichtige Schritt, damit du sie richtig einordnen und auch verarbeiten kannst. Es ist quasi ein Werkzeug, das dir hilft, die richtigen Worte zu finden und das wiederum führt dazu, dass du deine Emotionen geordnet und klar wahrnehmen kannst.
Zahlreiche Therapeutinnen und Therapeuten teilen die Meinung, dass eine Heilung erst dann möglich ist, wenn die richtigen Worte gefunden worden sind, um das Problem zu beschreiben. Und genau dabei unterstützt dich das Gefühlsrad. Oftmals fühlen sich dessen Anwender schon nach der reinen Nutzung des Rads besser, schlichtweg weil sie sich gehört fühlen – sei es von sich selbst oder von anderen Personen, mit denen sie das Gefühlsrad gemeinsam genutzt haben.