Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter kommen häufiger vor, als man vielleicht annehmen mag. Rund 20 - 25 % aller Kinder weisen laut einer Basiserhebung des RKI entsprechende Anzeichen auf. Die wenigsten Eltern sprechen jedoch gerne über dieses Thema. Doch nur wenn du Verhaltensauffälligkeiten rechtzeitig erkennst und dein Kind liebevoll unterstützt, kannst du negative soziale Konsequenzen vermeiden.
Jedes Kind hat seinen individuellen Charakter. Nur weil wir Erwachsene die eine oder andere Angewohnheit unseres Kindes als lästig oder nervig empfinden mögen, ist dies nicht zwangsläufig mit einer interventionsbedürftigen Verhaltensauffälligkeit gleichzusetzen. Daher ist es umso wichtiger, ernste psychische Ursachen rechtzeitig zu erkennen.
Ob eine bestimmte Verhaltensweise als behandlungsbedürftig einzustufen ist oder nicht, hängt laut dem bekannten Kinder- & Jugendpsychiater Dr. Nawid Peseschkian zu einem großen Maße von dem Leidensdruck ab, der für die Kinder selbst sowie für ihr unmittelbares Umfeld entsteht. Sind Alltag und Wohlbefinden beeinträchtigt, ist in jedem Fall Handlungsbedarf geboten.
Konkrete Anzeichen für Verhaltensauffälligkeiten zu benennen ist gar nicht so leicht, da diese je nach der persönlichen Situation des Kindes verschieden ausfallen können. Grundsätzlich ist von einer Verhaltensauffälligkeit auszugehen, wenn folgende Kriterien zutreffen:
Hinsichtlich der Beurteilung, ob Verhaltensauffälligkeiten vorliegen, spielen die Kultur sowie der Zeitgeist eine entscheidende Rolle. Vieles, was heutzutage als vollkommen normal gilt, war in der Generation unserer Großeltern undenkbar und wäre als Auffälligkeit eingestuft worden.
Kulturell bedingte Unterschiede beeinflussen die Definition eines auffälligen Verhaltens ebenso. Das niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung hat in diesem Zusammenhang einen interessanten Fachartikel veröffentlicht: https://www.nifbe.de/index.php/fachbeitraege-von-a-z?view=item&id=93
Ebenfalls maßgebend ist das Alter des Kindes. Wirft sich ein Kleinkind schreiend an der Supermarktkasse auf den Boden, weil es keine Süßigkeiten bekommen hat, mag das Verhalten für die Eltern unangenehm sein. Dennoch handelt es sich um eine normale Reaktion, die dem Entwicklungsstand entspricht. Verhält sich jedoch ein Zehnjähriger auf dieselbe Weise, ist von einer Auffälligkeit die Rede.
An dieser Stelle ist es zunächst einmal wichtig, Verhaltensauffälligkeiten von Verhaltensstörungen zu differenzieren. Dies ist gar nicht so einfach, da die möglichen Erscheinungsformen relativ identisch sind. Der ausschlaggebende Unterschied liegt in der Häufigkeit und Intensität des Auftretens. Sobald Leidensdruck oder gar eine Gesundheitsgefährdung besteht, sollten Eltern handeln.
Zu den häufigsten Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter zählen:
Selbstschädigendes Verhalten
Verhaltensweisen, bei denen andere Menschen zu Schaden kommen
Selbstunsicherheit
Verhaltensweisen, die zu erzieherischen Schwierigkeiten führen
Die Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern können vielfältiger Natur sein. In den meisten Fällen handelt es sich um ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, wobei auch die Persönlichkeit des Kindes zu berücksichtigen ist. So kann es durchaus vorkommen, dass von zwei Kindern, die dasselbe Trauma durchlebt haben, nur eines später Verhaltensauffälligkeiten zeigt.
Womit wir direkt beim Stichwort wären: Traumatische Erlebnisse sind eine häufige Ursache für das Entstehen von Verhaltensauffälligkeiten. Hierbei kann es sich um den Tod eines nahen Angehörigen, die Trennung der Eltern oder um plötzliche Veränderungen innerhalb des sozialen Umfelds handeln. Letzteres ist beispielsweise bei einem Umzug mit Schulwechsel der Fall.
Befindet sich das Kind gerade in einer sensiblen Entwicklungsphase wie dem Schuleintrittsalter oder der Pubertät, ist es für die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten umso anfälliger. Hierzu bedarf es nicht einmal zwingend eines traumatischen Erlebnisses. Bereits die Geburt eines Geschwisterkindes oder der erste Liebeskummer können vorübergehend zu Verhaltensauffälligkeiten führen.
Zeigt dein Kind Verhaltensauffälligkeiten, lohnt es sich, einmal zu überprüfen, ob es sich möglicherweise über- oder unterfordert fühlt. Zahlreiche hochbegabte Kinder, die nicht ausreichend gefördert werden, fallen durch aggressives Verhalten und schlechte Schulnoten auf. Passt man die Förderung entsprechend an, verschwinden die Auffälligkeiten wieder.
Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein: Überforderte Kinder reagieren oftmals mit Trotz und Verweigerung, weil sie die an sie gestellten Anforderungen einfach nicht erfüllen können. In diesem Fall gilt es, den elterlichen Ehrgeiz zu bremsen und das Lernniveau an das tatsächliche Können des Kindes anzupassen.
Stellst du bei deinem Kind Verhaltensauffälligkeiten fest oder wirst du von Erziehern und Lehrern darauf angesprochen, ist dies für dich als Elternteil verständlicherweise eine sehr belastende Situation. Um deinem Kind zu helfen, solltest du das Problem jedoch keinesfalls verleugnen. Grundsätzlich gilt: Je früher du reagierst, umso besser kannst du deinem Kind helfen.
Wartest du hingegen, bis für dein Kind ernste soziale Konsequenzen entstanden sind und du mit deinen Kräften vollkommen am Ende bist, ist der Weg aus dem Teufelskreis umso schwieriger. Suche dir daher frühzeitig professionelle Unterstützung. Du kannst dich vertrauensvoll an euren Kinderarzt, an einen Facharzt oder an eine Erziehungsberatungsstelle wenden.
Im Idealfall genügen wenige Gespräche mit den entsprechenden Fachleuten, um die Verhaltensauffälligkeiten zu ergründen und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Sollte dies nicht ausreichen, ist eine Familientherapie sinnvoll. Entsprechende Adressen kannst du beim Arzt, bei der Erziehungsberatungsstelle oder bei der Krankenkasse anfragen.
Zeigt das eigene Kind Verhaltensauffälligkeiten, fühlen sich viele Eltern der Situation machtlos ausgeliefert. Hinzu kommen oftmals zusätzlicher Druck aus dem schulischen Umfeld sowie eigene Ängste und Selbstvorwürfe. Daher gilt: Scheue dich nicht, auch für dich selbst therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Davon abgesehen gibt es einige wichtige Grundsätze, die du im Umgang mit deinem Kind beachten solltest, um die Situation daheim zu entschärfen:
Du als Elternteil musst klare (und altersgerechte) Grenzen kommunizieren, welches Verhalten tolerierbar ist und welches nicht. Überschreitet dein Kind diese Grenzen, hat es mit angemessenen Konsequenzen zu rechnen. Wichtig ist, dass du die angekündigten Maßnahmen auch durchhältst. Ansonsten wird sich am Verhalten deines Kindes nichts ändern.
Dein Kind muss wissen, was genau du von ihm erwartest. Erkläre die bei euch geltenden Regeln daher kurz und bündig. Vermeide lange Diskussionen und Erklärungsversuche. Diese verlaufen in den meisten Fällen ergebnislos.
Kinder schauen sich mit Vorliebe Verhaltensweisen von ihren Eltern ab. Je jünger sie sind, umso ausgeprägter ist dieses Phänomen. Achte also auf dein eigenes Verhalten. Wenn du selbst dazu neigst, schnell aggressiv zu reagieren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dein Kind sich dieses Verhalten von dir abschaut.
Fokussiere dich nicht nur auf die unangenehmen Verhaltensweisen deines Kindes. Vergiss nicht, es zu loben, wenn es etwas richtig macht. Auf diese Weise motivierst du dein Kind, sich weiterhin angemessen zu verhalten.
Ab und an ist es auch in Ordnung, eine Belohnung für erwünschtes Verhalten in Aussicht zu stellen: „Wenn du eine Woche lang alle deine Hausaufgaben erledigst, machen wir am Wochenende einen tollen Ausflug.“
Oftmals schenken wir Erwachsenen den unerwünschten Verhaltensweisen unserer Kinder zu viel Aufmerksamkeit. Das führt dazu, dass du die Verhaltensauffälligkeiten unbewusst belohnst, um schnell wieder Ruhe zu haben oder peinliche Situationen in der Öffentlichkeit zu vermeiden.
Als klassisches Beispiel ist der Streit an der Supermarktkasse zu nennen. Kaufst du dem trotzenden Kind nun die gewünschte Süßigkeit, nur damit es endlich Ruhe gibt, förderst du das unerwünschte Verhalten.
Nicht selten nutzen Kinder bestimmte Verhaltensweisen, von denen sie wissen, dass ihre Eltern sie nicht mögen, als Provokation. Hierbei handelt es sich um den Versuch, Aufmerksamkeit zu bekommen. Reagierst du entsprechend, förderst du die Verhaltensweisen. Zeige deinem Kind stattdessen, dass es sich deiner Zuneigung stets sicher sein kann und dich dafür nicht herauszufordern braucht.
Überfordere dein Kind nicht und lobe es auch für kleine Fortschritte. Verhaltensauffälligkeiten zu überwinden, ist ein langsamer Prozess, bei dem es auch Rückschritte geben wird. Erwarte nicht zu viel auf einmal. Gibt es mehrere Auffälligkeiten, dann kümmert euch um eine „Baustelle“ zurzeit.
Verhaltensauffälligkeiten sind ein kindliches Ventil, um Probleme zu lösen. Viel zu oft werden sie jedoch stigmatisiert. Nur weil dein Kind eine Auffälligkeit zeigt, bedeutet dies aber keinesfalls, dass grundsätzlich etwas nicht mit ihm stimmt. Fast jedes fünfte Kind entwickelt im Laufe des Heranwachsens vorübergehend Verhaltensauffälligkeiten, oftmals als Reaktion auf einschneidende Ereignisse.
Wichtig ist, dass du dein Kind liebevoll begleitest und unterstützt. Verleugne das Problem nicht, sondern sucht euch frühzeitig professionelle Hilfe. Je früher dein Kind die notwendige Unterstützung erhält, umso schneller lernt es, die Verhaltensauffälligkeiten abzulegen und stattdessen andere Ventile für seine Emotionen zu finden.
Du als Elternteil solltest Ruhe bewahren und bei Bedarf ebenfalls professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Nur wenn du seelisch bei Kräften bleibst, kannst du dein Kind angemessen begleiten. Bleibe außerdem in regelmäßigem Austausch mit Lehrern, Erziehern, Ärzten oder anderer Betreuungspersonen.