Die Zeiten, in denen Kinder ihren Eltern bedingungslos gehorchen mussten, gehören längst der Vergangenheit an. Familien, die sich für den demokratischen Erziehungsstil entscheiden, gewähren ihrem Nachwuchs einen beachtlichen Entscheidungsfreiraum. Dies kann die Entwicklung fördern, aber auch Herausforderungen mit sich bringen.
Doch wie lässt sich ein demokratischer Erziehungsstil in der Praxis umsetzen und was gibt es für Eltern zu beachten? Das möchten wir uns nachfolgend einmal näher anschauen.
Wie die Bezeichnung es bereits andeutet, bezieht ein demokratischer Erziehungsstil die kindlichen Bedürfnisse und Meinungen ein. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Kinder keine Regeln beachten müssen, so wie es bei der antiautoritären Erziehung der Fall ist. Wichtige Entscheidungen werden – wie in einer Demokratie – von Kindern und Eltern gemeinsam getroffen.
Weiterhin spielen Nähe, Vertrauen sowie gegenseitiger Respekt eine Schlüsselrolle. Die Kinder dürfen ihre eigenen Ideen verwirklichen und machen die positive Erfahrung, dass ihre Meinung zählt. Sie lernen von klein auf, wie eine respektvolle zwischenmenschliche Interaktion funktioniert. Dies stärkt das Selbstvertrauen sowie die Empathie.
Die Erziehungsarbeit erfolgt nicht in Form von Befehlen und Bestrafungen, sondern vielmehr durch richtungsweisende Vorschläge und Reflexionsarbeit. Es geht darum, dass die Kinder wirklich begreifen, warum gewisse Verhaltensweisen nachteilig sind. Die Eltern und Erzieher stehen in ständiger Kommunikation mit dem Kind. Das grundlegende Prinzip lautet dennoch: Lernen durch eigene Erfahrungen.
Ein demokratischer Erziehungsstil zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
Dass die Frage nach der richtigen Erziehung kaum allgemeingültig zu beantworten ist, geht aus einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung hervor: So wie jeder andere Erziehungsstil bringt demzufolge auch der demokratische Erziehungsstil seine spezifischen Vor- und Nachteile mit sich.
Ein demokratischer Erziehungsstil überzeugt mit zahlreichen Vorteilen:
Förderung der Selbstständigkeit
Ein demokratischer Erziehungsstil erlaubt es Kindern, mit der Unterstützung ihrer Eltern eigene Entscheidungen zu treffen. Hierdurch entwickelt sich ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Die Kinder lernen früh, dass sie in der Lage sind, gute Entscheidungen für ihr Leben zu treffen.
Verringerung von Verhaltensproblemen
Kinder, die sich als autonome Persönlichkeiten erleben, entwickeln signifikant seltener Verhaltensauffälligkeiten. Dies geht aus einer aktuellen Untersuchung des RKI hervor.
Entwicklung eines gesunden Urteilsvermögens
Fehler sind da, um aus ihnen zu lernen. Diese häufig zitierte Weisheit ist ein wichtiger Bestandteil des demokratischen Erziehungsstils. Die Kinder werden dazu ermutigt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Dass es hierbei auch zu Misserfolgen kommt, ist ganz natürlich. Dadurch lernen die Kinder jedoch, ähnliche Situationen künftig besser einzuschätzen.
Entwicklung von Empathie
Da die Kinder wertschätzend und mit Respekt behandelt werden, fällt es ihnen leicht, andere Menschen ebenfalls so zu behandeln. Ein sensibler Erziehungsstil fördert die Fähigkeit der Empathie. Die Kinder lernen, sich in ihre Mitmenschen hineinzuversetzen und deren Emotionen ernst zu nehmen.
Förderung intrinsischer Motivation
Mit Zwang und Druck gelangt man nur selten zu nachhaltigem Erfolg. Im Rahmen des demokratischen Erziehungsstils werden Kinder dazu ermutigt, eigene Ziele zu entwickeln und diese umzusetzen. Sie empfinden das Lernen demzufolge nicht als fremdbestimmt, sondern wollen sich aus eigenem Antrieb weiterentwickeln. Letzteres bezeichnet man als intrinsische Motivation.
Bessere Integration
Kinder, die demokratisch erzogen werden, können sich nachweislich besser in Gruppen integrieren. Letzteres ist sowohl in der Schule als auch später im Berufsleben von großem Vorteil. Dies hängt mit dem bereits erörterten Faktor der Empathie zusammen: Kinder, die sich wertgeschätzt und ernst genommen fühlen, haben es nicht nötig, in einer Gruppe den Störenfried zu spielen.
Förderung der kommunikativen Fähigkeiten
Der demokratische Erziehungsstil ist von ständiger Kommunikation zwischen Kindern, Eltern und Erziehern geprägt. Regeln und Grenzen können bei Bedarf – z. B. mit zunehmendem Alter und Verantwortungsbewusstsein des Kindes – stets neu verhandelt werden. Hierdurch lernen Kinder, konstruktiv zu argumentieren und ihren eigenen Standpunkt zu begründen.
Trotz aller genannten Vorzüge bringt ein demokratischer Erziehungsstil auch Nachteile mit sich:
Großer Zeitaufwand aufgrund ständiger Diskussionen
Im Rahmen des demokratischen Erziehungsstils werden die Regeln stets gemeinsam besprochen. Das klassische Machtwort durch die Eltern ist nicht vorgesehen. Dies kann dazu führen, dass die Kinder ständig alles ausdiskutieren möchten. Letzteres erfordert eine Menge Geduld und beansprucht das elterliche Nervenkostüm erheblich.
Manipulationsgefahr
Wird das gewollte Mitspracherecht der Kinder zu sehr ausgedehnt, kann es passieren, dass der Nachwuchs schlussendlich das Ruder übernimmt. Selbst kleine Kinder wissen ziemlich genau, wie sie ihre Eltern um den Finger wickeln können. Im schlimmsten Fall nehmen die Kinder ihre Eltern nicht mehr ernst, da ihnen keine ausreichenden Konsequenzen aufgezeigt werden.
Irritationen des Umfelds
Demokratisch erzogene Kinder neigen dazu, alles mit ihren Eltern ausdiskutieren zu wollen. Zeigen sie dieses Verhalten im Beisein von Dritten, können diese Personen dies als Ungezogenheit auffassen. Die Eltern geraten mitunter in Erklärungsnot, da der demokratische Erziehungsstil insbesondere bei der älteren Generation noch unbekannt ist.
Die Umsetzung kostet mitunter Überwindung
Nicht allen Eltern fällt es leicht, ihre Kinder wie gleichberechtigte Partner zu behandeln. Dies ist jedoch die Grundlage des demokratischen Erziehungsstils. Verhalten sich die Eltern widersprüchlich, ist selbst das beste Konzept zum Scheitern verurteilt. Für Eltern, die ihre autonome Rolle nicht verlassen wollen, ist ein demokratischer Erziehungsstil nicht geeignet.
Das Prinzip des demokratischen Erziehungsstils ist einfach: Die Kinder werden als Individuen behandelt, deren Meinungen und Wünsche zu berücksichtigen sind. In der Umsetzung kann das Konzept mitunter herausfordernd sein. Daher möchten wir dir nachfolgend einige grundlegende Tipps mit auf den Weg geben, wie du den demokratischen Erziehungsstil erfolgreich in deinem Familienalltag umsetzen kannst:
Wenn du den demokratischen Erziehungsstil umsetzen möchtest, solltest du von seinem Nutzen überzeugt sein. Sofern du zweifelst, ist eine erfolgreiche Umsetzung nicht möglich. Trotz aller genannten Vorteile fürchten sich manche Eltern vor der demokratischen Erziehung, da sie glauben, dass die Kinder außer Rand und Band geraten. Dies ist jedoch ein Trugschluss.
In einer Demokratie gibt es niemanden, der einfach machen kann, was er möchte. Es geht um gemeinsame Entscheidungsfindung. Wenn du dies verinnerlichst, kann die demokratische Erziehung gelingen.
Ein häufiges Missverständnis besteht in der Annahme, dass den Kindern im Rahmen des demokratischen Erziehungsstils komplette Entscheidungsfreiheit gelassen wird. Dies ist selbstverständlich nicht der Fall. Ein Kind muss erst lernen, wie man richtige Entscheidungen trifft. Hierbei solltest du es unterstützen, indem du ihm verschiedene Alternativen und mögliche Folgen aufzeigst.
Die beschlossenen Regeln gelten verbindlich für alle Familienmitglieder. Damit sie nicht in Vergessenheit geraten, ist es empfehlenswert, sie schriftlich festzuhalten. Am besten gestaltet ihr gemeinsam ein buntes Plakat, das prominent im Wohnzimmer oder in der Küche aufgehängt wird. So sind die geltenden Regeln jederzeit präsent.
Wenn du möchtest, dass deine Kinder verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen und sich an Regeln halten, solltest du mit gutem Beispiel vorangehen. Hierzu gehört, dass du dich an die gemeinsam festgelegten Regeln hältst. Habt ihr beispielsweise beschlossen, dass daheim nicht schreiend kommuniziert wird, solltest du dich im Streit ebenfalls nicht im Ton vergreifen.
Beim demokratischen Erziehungsstil handelt es sich keineswegs um ein starres Konzept. Vielmehr ist die Methode von ständigen Verhandlungen geprägt. Wenn deine Kinder älter werden, solltest du die Regeln entsprechend anpassen. Nur so bleibt der demokratische Erziehungsstil alltagstauglich. Ein gutes Beispiel sind die Ausgehzeiten, welche bei einem Sechzehnjährigen natürlich länger sein dürfen wie bei einem Zwölfjährigen.
Wie kann der demokratische Erziehungsstil in der Praxis aussehen? Dies möchten wir anhand einiger Beispiele verdeutlichen.
Dass die Hausaufgaben erledigt werden müssen, ist selbstverständlich indiskutabel. Wann und in welcher Reihenfolge dies geschieht, kann jedoch den Kindern überlassen werden. Jedes Kind hat einen individuellen Rhythmus. Während manche nach dem Mittagessen erst einmal eine Pause oder Zeit zum Spielen benötigen, setzen sich andere lieber sofort an die Hausaufgaben. Wichtig ist, dass man sich über den geplanten Ablauf austauscht.
„Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ Diese Regel aus Großmutters Zeiten gilt längst als überholt. Kinder, die demokratisch erzogen werden, dürfen in allen Aspekten des Familienlebens mitentscheiden. Dies gilt auch für den Essensplan.
Wünscht das Kind sich eine bestimmte Speise, können die Eltern ihm diesen Wunsch ruhig erfüllen, sofern eine ausgewogene Ernährung insgesamt gewährleistet ist. Im Umkehrschluss muss das Kind die Essenswünsche der anderen Familienmitglieder ebenso akzeptieren. Denkbar wäre es beispielsweise, die Entscheidung auf die Wochentage aufzuteilen: Am Wochenende entscheiden die Kinder, in der Woche die Eltern.
Das Kind bringt eine schlechte Schulnote heim. Statt es zu bestrafen, setzen sich die Eltern mit ihm zusammen und versuchen, die Ursachen für den Misserfolg zu ergründen. Hierzu gehört, Fragen zu stellen und auf Vorwürfe zu verzichten: „Hättest du besser lernen müssen? Hattest du Prüfungsangst? Wie können wir dich unterstützen, damit es beim nächsten Mal besser läuft?“
In Sachen Erziehung gibt es nur wenige Aspekte, die man als generell falsch oder richtig bezeichnen kann. Ob der demokratische Erziehungsstil zum Erfolg führt, hängt letztendlich von der jeweiligen Familie ab. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Eltern von dem Konzept überzeugt sind und sich nicht scheuen, mitunter zeitintensive Debatten mit ihren Kindern zu führen.
Wie zuvor erläutert, bietet ein demokratischer Erziehungsstil zahlreiche Vorteile. Daher erfreut er sich in vielen Familien wachsender Beliebtheit. Sofern einige Grundregeln beachtet werden, profitieren sowohl die Eltern als auch die Kinder in vielfältiger Hinsicht.
Das wertschätzende Miteinander verbessert das Familienklima. Darüber hinaus wird die Selbstständigkeitsentwicklung gefördert. Es lohnt sich demzufolge durchaus, den demokratischen Erziehungsstil oder zumindest Teilaspekte in den Familienalltag zu integrieren.