Weinen als Balsam für die Seele

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Sicherlich weinst auch du manchmal, zumindest heimlich. Es gibt kaum einen Menschen, dem nie die Tränen in die Augen schießen. Gehörst du zu jenen Personen, die das nicht gerne zugeben? Dann befindest du dich in bester Gesellschaft. Zu Unrecht ist das Weinen mit Scham und Schwäche behaftet.

Weinen: ein rein menschliches Phänomen

Manchmal schießen uns nach dem Genuss einer scharfen Speise die Tränen in die Augen. Auch beim Zwiebelschneiden, bei Zugwind und verschiedenen Augenkrankheiten müssen wir weinen. Das geht vielen Tieren genauso. Die Tränenflüssigkeit schützt in diesem Moment das empfindliche Auge. Aus emotionalen Gründen weinen, das tut in der Regel aber nur der Mensch.

Wenn Menschen weinen, hat das oft emotionale Gründe. Es fließen Tränen aufgrund von Trauer, Schmerz, Wut, aber auch aus Rührung oder Freude. Einige Wissenschaftler meinen, dass die sichtbare Tränenproduktion mit der beim Menschen stark verlängerten Aufzuchtzeit zusammenhängt. Das Weinen im Sinne des emotionalen Ausdrucks erwies sich in Form eines stillen Signals als vorteilhaft, denn laute Schreie wecken die Aufmerksamkeit des Feindes.

Evolutionsgeschichtlich gesehen handelt es sich beim Weinen anscheinend um eine Reaktion, die das soziale Verhalten und die Bindung in einer Gemeinschaft fördert und als Hilferuf zu verstehen ist. Es dient sozusagen als Kommunikationsmittel, das in der heutigen Zeit allerdings eher verpönt ist. Weinen gehört wie das Lachen zu den angeborenen Eigenschaften des Menschen.

Die verschiedenen Arten von Tränen: emotional, basal, reflektorisch

Träne ist nicht gleich Träne. Es gibt emotionale, basale und reflektorische Tränen. Die basalen Tränen sind dazu da, um deinen Augapfel zu befeuchten, zu reinigen und zu schützen. Sie überziehen die Hornhaut wie einen Film. Reflektorische Tränen kullern infolge eines Reflexes. Bei den Auslösern handelt es sich zum Beispiel um einen Fremdkörper, der ins Auge gelangt, oder aber um Rauch, Wind und reizende Gase. Emotionalen Tränen liegt eine heftige Gefühlsregung zugrunde.

Was passiert beim Weinen?

Das Weinen ist an und für sich ein sehr komplexer Vorgang. Während der Betroffene die Kontrolle über seine Mimik verliert, kommt es zur Aktivierung verschiedener Gesichtsmuskeln, Nerven und Gehirnstrukturen. Oft ist aufgrund des Schluchzens die Sprachfähigkeit eingeschränkt. Bei schreienden Neugeborenen sind heftige Kontraktionen des Augenringmuskels zu erkennen. Diese stimulieren die in der Hornhaut sitzenden Nerven. Ähnliches passiert beim Gähnen und Lachen.

Die chemische Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit

Wenn du weinst, dann heulst du nicht nur Wasser. Ganz egal, aus welchem Grund du weinst, aus einer Gefühlslaune heraus oder wegen einer Augenreizung, die chemische Zusammensetzung ist immer gleich. Die Tränenflüssigkeit enthält Wasser, Elektrolyte und Eiweiß.

Was anders ist, ist die Konzentration der einzelnen Inhaltsstoffe. Reflextränen infolge einer Augenreizung durch Wind, Fremdkörper oder Reizgasen enthalten weniger Prolaktin, Serotonin, Kalium und Mangan als emotionale Tränen. Auch der Proteingehalt ist bei den emotional vergossenen Tränen höher. Der Tränenbildung liegen jedoch die gleichen Transmitter-, Rezeptor- und Nervenstrukturen zugrunde.

Warum weinen wir?

Die Gründe für das Weinen

Emotionale Tränen sind das Ergebnis innerer Aufgewühltheit. Auslöser sind Gefühle positiver oder negativer Natur. Psychologen der Universitäten in Sussex und Ulm kamen zu dem Schluss, dass Tränen dann in Erscheinung treten, wenn psychologische Grundbedürfnisse entweder keine oder übermäßige Befriedigung erfahren. Sie ordnen das Weinen den Kategorien Machtlosigkeit, Einsamkeit, Überforderung, Medienkonsum und Harmonie zu.

Weinen als Ausdruck von Emotionen

Wie bereits erwähnt, weint der Mensch in erster Linie aufgrund einer extremen Gefühlslage. Hierfür gibt es unterschiedliche Gründe:

Trauer

Das Weinen gehört zur Trauer dazu und erfährt in diesem Zusammenhang die meiste Akzeptanz. Wer beim Verlust eines lieben Menschen nicht weint, gilt als gefühlskalt. Darüber hinaus ist nicht nur der Tod Anlass für Trauer. Auch Trennungen, die schwere Krankheit eines geliebten Angehörigen und anderweitige Verluste verursachen dieses Gefühl.

Verzweiflung

Die Verzweiflung ist eng mit der Trauer verwandt und manchmal sogar identisch. Wer einen lieben Menschen verliert, ist verzweifelt. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung bringt viele Menschen zum Weinen. Überforderung löst ebenfalls häufig ein Gefühl der Verzweiflung aus. Dieses basiert letztendlich auf innerem Frust und Stress.

Angst

Panik und Verzweiflung sind die Folgen der Angst. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hoffnungslosigkeit versetzt viele Menschen derart in Stress, dass sie weinen.

Wut

Wuttränen sind ein Zeichen innerer Aufgewühltheit. Es handelt sich dabei um ein gut sichtbares Zeichen von Stress. Häufig steigt parallel der Blutdruck und die Wangen röten sich.

Einsamkeit

Einsamkeit ist laut Wissenschaft ein unbefriedigtes Bedürfnis nach Nähe. Das macht sehr traurig und bringt die betroffenen Personen häufig zum Weinen. Auch Heimweh und das Gefühl des Verlassenseins gehört zu diesen Emotionen. Liebeskummer fällt ebenfalls in diese Kategorie.

Freude und Rührung

Aus Freude zu weinen, ist die schönste Art des Gefühlsausdrucks. Wissenschaftler meinen, dass die Tränen infolge einer intensiven Befriedigung des Harmoniebedürfnisses über die Wangen kullern. Deshalb weinen wir auch oft aus Rührung, beispielsweise bei einer Hochzeit oder romantischen Filmen. Wenn wir vor Lachen weinen, ist das ebenfalls ein Zeichen positiver Emotionen.

Die sozialen und kulturellen Aspekte des Weinens

Weinen ist sichtbarer Ausdruck deiner inneren Gefühlswelt. Die Tränen zeigen deiner Umgebung, dass du dich in einer emotionalen Ausnahmesituation befindest. Das führt natürlich zu Reaktionen. Allgemein wirken Menschen, die schnell weinen, warmherzig, ehrlich und aufrichtig, aber auch manipulierbar und emotional instabil.

Auffallend ist, dass Menschen, die schnell weinen, als inkompetent gelten. Infolgedessen bittet sie kaum jemand um Hilfe. Das wirkt sich negativ auf die Karrierechancen aus. Dieser Personengruppe spricht man oft höhere Führungsqualitäten ab. Dieser Tatsache liegen unter anderem kulturelle Einflüsse zugrunde, denn nach wie vor gilt Weinen als Zeichen der Schwäche.

Frauen weinen häufiger

Allgemein weinen Frauen häufiger als Männer. Das liegt vermutlich zumindest teilweise an der Erziehung. Weinen als Zeichen einer überbordenden Gefühlswelt gilt in vielen Kulturen als Zeichen von Instabilität, Übersensibilität und Schwäche. Diese Charaktereigenschaften gesteht man allgemein Frauen eher zu als Männern.

Bei Frauen und Mädchen stößt das Weinen auf größere Akzeptanz. Warum weinen Frauen mehr? Weil sie sensibler sind und weil sie es dürfen.

Einer Umfrage zufolge weinen besonders viele Frauen beim Medienkonsum, also beim Anschauen trauriger Filme. Das Hören emotionaler Musikstücke und der Erhalt besonders liebevoller Geschenke rührt ebenfalls oft zu Tränen. Im Jahr 2015 führte die Gesellschaft für Konsumforschung eine Studie durch. Demzufolge vergossen rund 83 Prozent der Frauen im vergangenen Jahr aus emotionalen Gründen Tränen. Bei den Männern waren es nur etwa 43 Prozent.

Die Vorteile des Weinens

Die Natur hätte das Weinen nicht erfunden, wenn es dem Menschen keinen Vorteil brächte. Wie bereits erwähnt, ist das Vergießen von Tränen eine evolutionsbedingte Ureigenschaft des Menschen. Folgende Vorteile bietet das Weinen:

Weinen erzeugt Empathie

Weinen bringt auf sozialer Ebene nicht nur Nach-, sondern oft auch Vorteile. Weinende Menschen erzeugen Mitleid. Das erhöht wiederum die Hilfsbereitschaft gegenüber der weinenden Person. Kinder weinen häufig aus diesem Grund, wenn sie die Hilfe Erwachsener benötigen. Sie machen mit dem Weinen auf ihre Notlage aufmerksam.

Weinen reduziert Stress

Weinen fungiert als Ventil für Stress und Überforderung. Es scheint oft so, dass die Tränen die Sorgen aus dem Körper herausspülen. Viele Menschen fühlen sich nach einer Weinattacke erleichtert. Tatsächlich ist das Weinen dazu in der Lage, Stress abzubauen und die Seele zu reinigen. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang vom sogenannten Katharsis-Effekt.

Dieser Erkenntnis liegt die Tatsache zugrunde, dass in emotionalen Tränen mehr Stresshormone enthalten sind als in reflektorischen. Allerdings ist die Dosis relativ gering. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass beim Weinen die Freigabe körpereigener Opioide und Oxytocin erfolgt. Das hebt die Stimmung und wirkt beruhigend. Infolgedessen fühlst du dich besser.

Weinen schützt die Augen

Die ursprüngliche Funktion der Tränenflüssigkeit ist der Schutz des Auges. Die Tränen helfen dabei, Staubkörner und Fremdkörper aus dem Auge zu transportieren und bewahren den Augapfel vor dem Austrocknen. In dieser Hinsicht sind Mensch und Tier gleich.

Weinen mindert den Schmerz

Sicherlich kennst du das unangenehme Erlebnis, dich an der Tischkante zu stoßen. Prompt schießen dir die Tränen in die Augen. Das wirkt sich positiv auf deine Stimmung aus. Durch das Weinen steigt der Kortisol- und Adrenalinspiegel an.

Weinen als Mittel zur Herstellung sozialer Verbindungen

Weinen animiert zur sozialen Interaktion, indem es die Hilfsbereitschaft gegenüber der weinenden Person erhöht. In der Regel erhält diese Trost. Das kann dabei helfen, Probleme leichter zu überwinden und wieder glücklicher zu sein.

Es ist auch schon vorgekommen, dass das Weinen Konflikte abschwächt und zerrüttete Beziehungen wieder kittet. Das Weinen ist ein Zeichen ehrlicher und aufrichtiger Gefühle. Es kann außerdem Attacken abschwächen und bei einem Streit beschwichtigend wirken.

Fazit

Es ist keine Schwäche, zu seinen Emotionen zu stehen und den Tränen freien Lauf zu lassen. Auf heftigen Regen folgt oft wieder Sonnenschein. Wer seine Gefühle verdrängt, sorgt dafür, dass sich die negativen Emotionen aufstauen und irgendwann ohnehin an die Oberfläche brechen. Weinen ist eine natürliche Reaktion des Körpers und kein Grund zum Schämen.

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