Wenn die Psyche leidet, entwickeln Menschen Bewältigungsstrategien, um den seelischen Druck abzumildern. Was im Grunde genommen wichtig und richtig ist, kann jedoch ins negative Gegenteil umschlagen, wenn hierbei auf dysfunktionale – also selbstschädigende – Bewältigungsmechanismen zurückgegriffen wird. Die größte Schwierigkeit besteht oftmals daran, dysfunktionales Verhalten als solches zu identifizieren.
Dysfunktional zu denken oder zu handeln bedeutet, dass eine Verhaltensweise dem eigentlichen Ziel abträglich ist. In konkretem Bezug auf die psychische Gesundheit spricht man von dysfunktionalen Verhalten, wenn jemand selbstschädigende Bewältigungsstrategien anwendet, um seelisches Leid zu mildern.
Das Tückische ist, dass dysfunktionales Verhalten zunächst tatsächlich seelische Erleichterung verschafft und somit als positives Ventil oder gar als einzige Möglichkeit betrachtet wird. Daher spielt die Identifizierung von selbstschädigenden Denk- und Verhaltensweisen in der therapeutischen Praxis eine zentrale Rolle. Denn nicht immer sind diese auf den ersten Blick zu erkennen.
Dysfunktionales Verhalten tritt nicht plötzlich auf, sondern hat meist tief verwurzelte seelische Ursachen. Ein häufiger Grund sind wiederkehrende negative Erfahrungen, Traumata sowie fest verankerte Glaubenssätze aus der Kindheit, die sich über die Jahre hinweg verfestigt haben.
Kommt ein äußerer Trigger hinzu, der das unverarbeitete Leid berührt, kann der Betroffene mit dysfunktionalem Verhalten reagieren, da er niemals gelernt hat, auf eine konstruktive Weise mit dem Problem umzugehen. Es entsteht ein Teufelskreis aus als negativ empfundenen äußeren Einflüssen und der selbstschädigenden Reaktion.
Dysfunktionales Verhalten geht oftmals mit einer großen Hilflosigkeit einher. Dies gilt vor allem dann, wenn der Betroffene sich bewusst ist, dass sein Verhalten ihm schadet. Zu erleben, trotz besseren Wissens nicht anders handeln zu können, schädigt das Selbstwertgefühl, was wiederum anfälliger für weitere negative Bewältigungsstrategien macht.
Dysfunktionales Verhalten kann sich auf verschiedene Arten und Weisen äußern, was letztendlich von der Persönlichkeit abhängig ist. Nachfolgend haben wir eine Zusammenfassung der am häufigsten auftretenden selbstschädigenden Verhaltensweisen zusammengefasst:
Körperlicher Kontext:
Sozialer Kontext:
In der therapeutischen Praxis tritt dysfunktionales Verhalten häufig in Verbindung mit einer ganz bestimmten Persönlichkeitsstörung auf: Borderline. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber keineswegs, dass Menschen, die selbstschädigende Verhaltensweisen zeigen, automatisch von der Borderline-Persönlichkeitsstörung betroffen sind. Die genauen Diagnosekriterien findest du hier.
Die Frage sollte also eher lauten: Warum wenden insbesondere Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung derart häufig selbstschädigende Verhaltensweisen an? Dies hängt mit der emotional instabilen Persönlichkeit zusammen, die für das Krankheitsbild kennzeichnend ist. Insbesondere Selbstverletzungen werden angewandt, um seelischen Druck abzubauen und sich selbst wieder spüren zu können.
Ein weiterer interessanter Aspekt wurde von der LMU München untersucht. Da viele Borderline-Patienten zusätzlich unter Depressionen leiden, kann davon ausgegangen werden, dass der Schweregrad der Depression zusätzlich einen Einfluss auf die Art und Ausprägung des dysfunktionalen Verhaltens hat. Dies hat sich in folgender wissenschaftlicher Ausarbeitung bestätigt.
Eines sei vorweg gesagt: Kein Mensch wendet dysfunktionales Verhalten an, weil er daran Freude hat oder sein Umfeld bestrafen möchte. Ursächlich sind immer eine große seelische Not und Hilflosigkeit. Der Mangel an positiven Erfahrungen sowie ein geringer Selbstwert führen dazu, dass Betroffene sich Ventile für ihren Kummer suchen, mit denen sie sich selber oder anderen schaden. Die häufigsten Auslöser sind:
Der erste und wichtigste Schritt besteht darin, dysfunktionales Verhalten zu erkennen und es dir einzugestehen. Wenn du tief in dich hineinhorchst, weißt du mit Sicherheit, dass dir dein Verhalten langfristig nichts nützt, sondern deine persönliche Situation verschlimmert. Ist der seelische Schmerz abgeklungen, bereust du dein Verhalten. Letzteres ist ein gutes Indiz, um selbstschädigende Verhaltensmuster zu erkennen.
Um das dysfunktionale Verhalten abzustellen, musst du erst einmal verstehen, warum du so handelst. Welche unverarbeiteten Geschehnisse oder falsch eingeprägte Glaubenssätze liegen zugrunde? Letzteres lässt sich gut herausfinden, indem du dein Verhalten beobachtest und Trigger analysierst. In den meisten Fällen ist zusätzlich ein professionelles Coaching oder eine Psychotherapie ratsam.
Das dysfunktionale Verhalten erfüllt den Zweck, dir schnelle seelische Entlastung zu schaffen. Da deine Methoden jedoch selbstschädigend sind, gilt es herauszufinden, welche gesünderen Alternativen es gibt. In der Psychologie ist von sogenannten Skills die Rede.
Wenn du dich beispielsweise selbst verletzt, um Frust abzubauen, seelischen Druck zu ertragen oder sich einfach wieder zu spüren, könntest du die folgenden Alternativen nutzen. Diese erzeugen ebenfalls einen Schmerzreiz, aber ohne ernsthafte physische Schädigung:
Alternativen ohne Schmerzreiz:
Möglicherweise dauert es eine Weile, bis du eine funktionierende, gesündere Alternative gefunden hast, die dein dysfunktionales Verhalten ersetzt. Das ist vollkommen normal. Lasse dich von Rückschlägen in alte Verhaltensmuster nicht entmutigen, sondern nehme sie zum Anlass, dich selber zu reflektieren: Was hättest du in der jeweiligen Situation gebraucht? Wie kannst du dich beim nächsten Mal besser seelisch stärken?
Dysfunktionales Verhalten ist keine Seltenheit, da jeder Mensch eine individuelle Lebensgeschichte hat, aus der verschiedene Problematiken resultieren können. Niemand handelt in jeder Situation absolut funktional! Von daher kann es heilsam sein, dich vertrauten Menschen anzuvertrauen und dich auszutauschen. Außenstehende können eine neutrale Perspektive einnehmen und dir mit eigenen Erfahrungen weiterhelfen.
Wie bereits mehrfach erläutert, ist es eine große Herausforderung, dysfunktionales Verhalten überhaupt zu identifizieren. Noch schwieriger ist es, sich die schädlichen Verhaltensweisen aus eigener Kraft abzugewöhnen. Ein professionelles Coaching kann hierzu eine wertvolle Hilfestellung leisten.
Gemeinsam mit dir identifiziert und analysiert ein Coach selbstschädigende Überzeugungen, die wiederum zu selbstschädigendem Verhalten führen. Das Ziel besteht darin, schädliche Glaubenssätze zu korrigieren und dir das Gefühl der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wiederzugeben.
Es werden langfristige Strategien erarbeitet, die du in kritischen Situationen anwenden kannst. Wichtig zu wissen ist, dass ein Coach Hilfe zu Selbsthilfe gibt. Er sagt dir nicht, was du tun und lassen sollst, sondern schenkt dir Impulse. Nur wenn du deinen Lösungsweg selber erarbeitest, kannst du das dysfunktionale Verhalten langfristig beherrschen.
Für Angehörige ist das dysfunktionale Verhalten ihrer Liebsten oft kaum zu ertragen. Umso wichtiger ist es, keine Vorwürfe zu machen, sondern zu verstehen, dass derjenige sich in seelischer Not befindet. Auch wenn es schwer zu akzeptieren ist: Damit sich etwas ändert, muss der Betroffene sein dysfunktionales Verhalten einsehen und sich selber eine Veränderung wünschen.
Du als Freund, Elternteil oder Partner hilfst am allermeisten, wenn du deine Beobachten schilderst und hierbei Ich-Botschaften verwendest:
Statt: „Du trinkst zu viel. Du musst dir sofort Hilfe holen, sonst weise ich dich ein.“
Lieber: „Ich habe beobachtet, dass du mehr Alkohol trinkst als früher. Wenn dich etwas belastet und du darüber reden möchtest, bin ich da.“
Biete dem Betroffenen ein offenes Ohr an und signalisiere Hilfsbereitschaft, ohne ihn zu bedrängen oder gar zu bedrohen! Letzteres führt oftmals nur dazu, dass derjenige deine Hilfsangebote komplett abblockt. Lasse dem Betroffenen keine Sonderbehandlung zukommen. Es handelt sich immer noch um einen erwachsenen Menschen, der für sich selber verantwortlich ist.
Dysfunktionales Verhalten kann sich auf die verschiedensten Arten zeigen und führt letztendlich dazu, dass du dich von deinen eigentlichen Zielen und Wünschen immer weiter entfernst. Ganz wichtig ist es, dir einzugestehen, dass deine Methoden dir schaden. Die meisten Menschen wissen dies im Unterbewusstsein bereits, können sich aber (noch) nicht von ihrer Bewältigungsmechanismen lösen.
Setze dich mit deinem Verhalten auseinander und ergründe die Ursachen, damit eine Aufarbeitung erfolgen kann. Am besten gelingt dies mit professioneller Hilfe (Coach oder Therapeut). Anschließend gilt es, gesündere Alternativen zu finden, um in kritischen Situationen nicht wieder in alte Muster zu fallen. Dies ist ein langer Prozess, aber keineswegs unmöglich.