Intelligent zu sein hat nicht zwingend etwas mit einem Einserabitur oder einem abgeschlossenen Studium zu tun. Wissenschaftler unterscheiden zwischen neun Formen der Intelligenz. Vom sogenannten Intelligenzquotienten (kurz IQ) hast du sicherlich schon einmal etwas gehört. Möglicherweise hast du sogar einen Test gemacht, um deinen IQ bestimmen zu lassen. Im zwischenmenschlichen Bereich ist der IQ jedoch zweitrangig. Hier kommt vor allem dem EQ eine entscheidende Bedeutung zu. Letzterer zeigt deine emotionale Intelligenz an. Nachfolgend wollen wir uns mit der Frage befassen, was es mit der emotionalen Intelligenz auf sich hat und auf welche Weise du sie fördern kannst.
Hinter dem Konzept der emotionalen Intelligenz verbirgt sich die Fähigkeit, die eigenen Emotionen sowie die Gefühle anderer Menschen zu verstehen, einzuschätzen und letztendlich angemessen darauf zu reagieren. Je höher deine emotionale Intelligenz, umso besser kommst du mit Menschen zurecht. So lautet eine ziemlich vereinfachte Definition des EQ.
Geprägt wurde der Begriff der emotionalen Intelligenz im Jahre 1990 von den US-Psychologen John D. Mayer und Peter Salovey. Weltweite Bekanntheit erlangte der EQ jedoch erst sieben Jahre später, nachdem der bekannte Autor und Psychologe Daniel Goleman ein Fachbuch zum Thema verfasste, das sofort die Bestsellerlisten eroberte. Seither findet der EQ in der modernen Psychologie flächendeckend Anwendung.
Laut Goleman basiert emotionale Intelligenz auf folgenden 12 Kompetenzen:
Um die emotionale Intelligenz eines Menschen zuverlässig messen zu können, haben die Psychologen Salovey und Mayer die komplexen Merkmale des EQ in vier Ebenen untergliedert:
Betrachten wir die vier Kernbereiche der emotionalen Intelligenz doch einmal genauer:
Um Emotionen zu verstehen, musst du zunächst in der Lage sein, sie überhaupt wahrzunehmen – sowohl bei dir selbst als auch bei anderen Menschen. Dies beinhaltet beispielsweise das Wahrnehmen und korrekte Interpretieren von Gestik und Mimik.
Fällt es dir sofort auf, wenn jemand die Schultern hängen lässt oder den Tränen nah ist? Können Freunde und Familie erfreuliche Neuigkeiten nicht lange vor dir verbergen? Dies könnte ein Anzeichen für einen hohen EQ deinerseits sein.
Gefühle wahrzunehmen ist das Eine. Emotional intelligente Menschen sind darüber hinaus in der Lage, die vorhandenen Emotionen zielführend zu nutzen. Dazu gehört unter anderem, Prioritäten zu setzen: Worum muss ich mich nun zuerst kümmern? Worauf gilt es besonders zu achten? Wie kann ich wem am besten helfen? Selbstverständlich ist auch Selbstfürsorge ein wichtiges Thema.
Emotionen können auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen sein. Jemand, der wütend ist, hat sich vielleicht gerade mit seinem Partner gestritten oder einen finanziellen Rückschlag einstecken müssen. Emotional intelligente Menschen können Gefühlsäußerungen in den meisten Fällen korrekt interpretieren.
Sie spüren ganz genau, ob die wütende, gleichgültige oder ängstliche Reaktion auf sie selbst zurückzuführen ist (persönlicher Konflikt) oder ob äußere Faktoren ursächlich sind. Menschen, denen es an emotionaler Intelligenz mangelt, beziehen oftmals jede emotionale Regung ihres Gegenübers auf sich selbst. Dies führt häufig zu Missverständnissen und Konflikten.
Die Gabe, auf vorhandene Emotionen aktiv Einfluss zu nehmen, zählt zu den wichtigsten Merkmalen der emotionalen Intelligenz. Emotional intelligente Menschen besitzen die Fähigkeit zur Selbstregulation. Das bedeutet, dass sie sich von ihren Gefühlen nicht einfach überrollen lassen.
Emotionale Eskalationen (z. B. Beschuldigungen, Beschimpfungen, Wut- und Tränenausbrüche), die den zwischenmenschlichen Beziehungen meist sehr schaden, werden vermieden. Ist jemand anderes aufgebracht, so schafft es ein emotional intelligenter Mensch, sein Gegenüber zu beruhigen.
Mit den 12 Kompetenzen der emotionalen Intelligenz haben wir dich bereits einleitend vertraut gemacht. Von außen gut wahrnehmbar und daher laut Goleman besonders kennzeichnend sind folgende Eigenschaften:
Emotional intelligente Menschen sind sich ihrer persönlichen Stärken und Schwächen sehr bewusst. Sie wissen, was sie als Mensch ausmacht und wie sie auf ihr Umfeld wirken. Die eigenen Handlungen werden möglichst objektiv betrachtet. Selbstherrlichkeit oder Selbsthass empfinden emotional intelligente Menschen in der Regel nicht.
Empathie, also die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt anderer Menschen hineinzuversetzen, gilt als das wichtigste Merkmal der emotionalen Intelligenz. Emotional intelligenten Menschen wird daher oftmals großes Vertrauen entgegengebracht, da ihr Gegenüber sich von ihnen verstanden fühlt. Empathie ermöglicht jedoch nicht nur Verständnis, sondern auch eine angemessene Reaktion in angespannten Lebenslagen.
Selbstregulation beschreibt das genaue Gegenteil von Impulsivität. Während impulsive Menschen ihre Emotionen oftmals nicht zu kontrollieren vermögen und dabei Schaden anrichten, sind emotional intelligente Menschen in der Lage, sich gefühlsmäßig zu beherrschen. Das bedeutet keinesfalls, dass sie unnahbar wären. Sie wissen lediglich, dass es kontraproduktiv ist, ohne nachzudenken einen Streit zu beginnen.
Selbstregulation ist übrigens auch ein Synonym für Selbstdisziplin. Kennzeichnend für die emotionale Intelligenz ist es beispielsweise, dass Aufgaben konsequent zu Ende gebracht werden, ehe man sich eine Pause gönnt oder anderen Themen zuwendet.
Das Leben verläuft nicht immer wie geplant. Niemand bleibt von unvorhergesehenen Ereignissen und Rückschlägen verschont. Emotional intelligente Menschen lassen sich dennoch nicht entmutigen. Sie versuchen, aus ihrer aktuellen Situation stets das Beste zu machen. Ganz gleich, wie düster die Aussichten auch sein mögen.
Emotional intelligenten Menschen fällt es leicht, Kontakte zu knüpfen und sich in eine Gruppe zu integrieren. Sie haben keine Schwierigkeiten damit, sich ein großes Netzwerk aus Freunden und Unterstützern aufzubauen. Dies gilt sowohl für den beruflichen als auch für den privaten Lebensbereich.
Da emotionale Intelligenz vertrauensfördernd wirkt, sind emotional intelligente Menschen nicht selten in Führungspositionen anzutreffen, was aus dieser wissenschaftlichen Ausarbeitung hervorgeht.
Sie nutzen ihre Stellung grundsätzlich dazu, um etwas Positives zu bewirken. Es liegt ihnen fern, ihre Macht auszunutzen, um sich selbst zu bereichern.
Emotionale Intelligenz begegnet uns im Alltag leider nicht so häufig, wie es wünschenswert wäre. Viel zu oft sind wir mit Menschen und Situationen konfrontiert, die uns traurig und wütend machen. Unfreundliches Abwimmeln beim Arzt, ein verletzender Spruch über das Aussehen oder den beruflichen Werdegang, eine abwertende Geste im Gespräch ...
Sicherlich wird dir in diesem Zusammenhang auch das eine oder andere Beispiel aus deinem Alltag einfallen. Mit dem Einsatz emotionaler Intelligenz würden sich viele Missverständnisse, Streitigkeiten und Ehrverletzungen vermeiden lassen.
Daher haben wir nachfolgend zwei typische Beispiele zusammengestellt, wie sich emotionale Intelligenz im täglichen Leben äußert.
Beispiel 1
Ein Kind stürzt auf dem Spielplatz. Die Mutter möchte es trösten. Ist sie emotional intelligent, wird sie Folgendes sagen: „Das hat bestimmt sehr wehgetan. Es ist in Ordnung, dass du jetzt weinst. Komm, wir kleben ein Pflaster auf die Stelle.“
Mangelt es ihr an emotionaler Intelligenz, wird sie die Gefühle des Kindes kleinreden und übergehen: „Du stellst dich vielleicht an, das ist doch nur ein kleiner Kratzer! Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“
Beispiel 2
Du hast einen nervenaufreibenden Arbeitstag hinter dir. Deine Kollegen haben dich genervt, dein Vorgesetzter hat seine schlechte Laune an dir ausgelassen und zu allem Überfluss hat sich noch ein Kunde telefonisch über einen Mangel beschwert, der nicht in deinem Zuständigkeitsbereich liegt.
Da du über emotionale Intelligenz verfügst, möchtest du die schlechte Stimmung nicht mit zu deiner Familie heimtragen. Um deinem Ärger Luft zu machen, fährst du nach der Arbeit ins Fitnessstudio und verausgabst dich körperlich. Du findest auf diese Weise ein Ventil für deine negativen Emotionen und lässt deinen Ärger nicht versehentlich an jemandem aus, der nichts dafür kann.
Jeder Mensch wird mit individuellen Persönlichkeitsmerkmalen geboren. Auch das Vorhandensein oder Fehlen von emotionaler Intelligenz ist zu einem großen Teil genetisch bedingt.
Dennoch lassen sich gewisse Teil-Eigenschaften wie z. B. Empathie und Selbstreflexion ausbauen. Am besten gelingt dies, wenn bereits im Kindesalter mit der Förderung begonnen wird. Erklärungen und Tipps für Eltern sind in diesem Fachbuch erörtert.
Aber auch im Erwachsenenalter ist es nicht zu spät, an der eigenen emotionalen Intelligenz zu arbeiten. Hierfür spielt vor allem die bewusste Selbstwahrnehmung eine Rolle: Warum reagiere ich, wie ich reagiere? Wie wirkt mein Verhalten auf andere? Was würde ich mir wünschen, wenn ich an der Stelle von Person XY wäre? Das Verstehen von Ursache und Wirkung deines Verhaltens hilft dir, deine Emotionen zu regulieren.
Du möchtest deine emotionale Intelligenz fördern? Dann können dich folgende fünf Tipps dabei unterstützen:
1. Unterdrücke deine Emotionen nicht
Negative Emotionen wie Wut, Trauer und Angst sind sehr belastend. Aus diesem Grund neigen viele Menschen dazu, unangenehme Gefühle zu betäuben. Zur emotionalen Intelligenz gehört es jedoch, sie zuzulassen und zu verstehen. Ablenkung hilft dir nicht, das jeweilige Problem zu lösen.
2. Führe ein Tagebuch
Um dich selbst zu reflektieren, kann es hilfreich sein, deine Erfahrungen schriftlich festzuhalten: Mit welchen Situationen warst du heute konfrontiert? Wie hast du darauf reagiert? Was kannst du daraus lernen und künftig verbessern?
3. Identifiziere dich mit deinen Mitmenschen
Wenn eine Person in deinem Umfeld traurig oder wütend ist, dann versuche dich an Situationen zu erinnern, in denen du dich ebenso gefühlt hast. Lass die Person wissen, dass du sie verstehst. Rede ihre Emotionen nicht klein! Selbiges gilt selbstverständlich auch bei erfreulichen Ereignissen.
Erwischst du dich manchmal dabei, wie du gedanklich abschweifst, während jemand dir etwas erzählt? Dem kannst du vorbeugen, indem du das Gesagte noch einmal zusammenfasst und gezielte Nachfragen stellst.
5. Steigere dein Selbstbewusstsein
Emotionale Intelligenz und Selbstbewusstsein gehen Hand in Hand. Befasse dich mit dir selbst: Welche Charaktereigenschaften machen deine Persönlichkeit aus? Worauf bist du in deinem Leben besonders stolz? Was kannst du gut? Woran möchtest du noch arbeiten?
Tipp: Sich selbst objektiv zu beurteilen ist nicht immer einfach. Frage daher deine Freunde und Familie nach ihrer Einschätzung.
Emotionale Intelligenz erleichtert die zwischenmenschliche Interaktion und ist auch für deinen beruflichen Weg förderlich: Fachwissen allein genügt in den meisten Fällen nicht, um erfolgreich eine Führungsposition zu bekleiden. Ebenso wichtig ist es, mit Menschen umgehen zu können.
Ob du emotional intelligent bist, ist nur teilweise eine Frage der Veranlagung. Die emotionale Intelligenz lässt sich auch im späteren Leben noch fördern. Hierzu ist es jedoch wichtig, dass du bereit bist, dich regelmäßig selbst zu reflektieren und auch negative Emotionen zuzulassen und zu hinterfragen.